Pflegetriage in Mecklenburg Vopommern?

Report Mainz und Tagesschau berichten von einer Pflegetriage.
Pflegeheime wählen aus, nehmen schwierige Pflegepatienten nicht mehr auf.
Kliniken finden für „schwierige“ Patienten keinen Langzeitpflegeplatz und
müssen sich wegen Bettenmangel immer wieder von der Notfallversorgung abmelden.
Es mangelt schlichtweg am Personal, das vorhandene Personal darf nicht überlastet
werden – die Versorgung droht zusammenzubrechen.

Von Pflegetriage möchte natürlich auch in MV niemand
sprechen. Gleichwohl finden heute bereits Kliniken immer schwieriger
Langzeitpflegeplätze im ambulanten und stationären Bereich. Je komplexer ein
Patient, desto schwieriger die Möglichkeit der sofortigen Überleitung.

Soweit Ministerin Drese den Ruf nach einer Pflegereform in
Richtung Berlin sendet, wird dort übersehen, dass gemäß § 9 SGB XI die
Verantwortung für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig
ausreichenden
und wirtschaftlichen pflegerischen
Versorgungsstruktur beim Land MV liegt.

Das Netzwerk Pflege in Not in MV wurde von ambulanten
Pflegeunternehmen gegründet und diese bestätigen, die Pflegetriage ist selbst
im ambulanten Bereich angekommen. In einer Befragung an der 135 ambulante
Einrichtungen aus MV teilnahmen, gaben 79,69% der Einrichtungen an, Patienten
aus Kapazitätsgründen ablehnen zu müssen. Nun kommt auch immer verstärkend
hinzu – Pflegedienste müssen Patienten aus Gründen der Unwirtschaftlichkeit
ablehnen.

Nach Abschluss der Verhandlungen in der Häuslichen
Krankenpflege erhalten Pflegedienste eine Einsatzpauschale (Weg von Haus zu
Haus) in Höhe von 6,92 €. Dies entspricht 5 bis 6 Minuten. Pflegedienste
müssen, um überleben zu können und nicht in die Insolvenz zu geraten, Patienten
mit einer längeren Fahrzeit ablehnen.

Damit ist eines klar, die flächendeckende Versorgung in
Mecklenburg – Vorpommern ist faktisch zusammengebrochen und die
Landesregierung, insbesondere Ministerin Drese nimmt diesen Zustand hin und
legt keine Lösungskonzepte vor.

Wir, das Netzwerk Pflege in Not in MV setzen uns in MV für
eine flächendeckende und finanzierbare Pflege ein. Leider müssen wir aber
feststellen, dass außer freundlicher Worte bisher nichts geschehen ist, obwohl
allen Beteiligten seit Jahren klar sein dürfte, dass die Sicherstellung einer
bedarfsdeckenden pflegerischen Versorgung unter den bestehenden
Rahmenbedingungen nicht mehr möglich ist. Statt selbst Initiativen und
Programme zu starten, fällt die SPD M-V einschließlich der zuständigen
Ministerin bisher nur dadurch auf, Forderungen an den Bund zu stellen, für eine
Sicherung und Verbesserung der Pflege zu sorgen. Eigeninitiative lässt die
Landesregierung einschließlich der sie tragenden Landtagsfraktionen hingegen
vollkommen vermissen. Wo sind die Konzepte hierzu?

Auf unserer Demonstration am 12.06.2023 haben wir als
Netzwerk stellvertretend für alle Pflegeunternehmer klargestellt, dass die
Ministerin unser Zutrauen hat, aber den Worten auch Taten folgen müssen. Die
Lage ist hochdramatisch. Leere Worthülsen helfen nicht – die flächendeckende
Sicherstellung braucht JETZT Sofortmaßnahmen. Wir fordern eine politische
Agenda, die allen Beteiligten (auch den Kostenträgern) unmissverständlich kommuniziert
wird.

Die Chance hat der Landtag verpasst. Mit den Stimmen der SPD
– Fraktion und der Landtagsfraktion der Linken wurde ein fundierter sachlicher
Antrag der FDP – Fraktion zu einer politischen Agenda abgelehnt. In diesem
Abstimmungsverhalten offenbart sich, dass die Landesregierung, einschließlich
der sie tragenden Landtagsfraktionen jeglicher tiefgründen Auseinandersetzungen
mit den drohenden Pflegekollaps und der sie befördernden Rahmenbedingungen, vor
sich hinschiebt.

Jeder Handwerker braucht 60 bis 80 Euro in der Stunde.
Pflegedienste erwirtschaften aufgrund des Leistungsgruppensystem und der
Wegezeiten häufig gerade einmal 40,00 € in der Stunde. Jeder Unternehmer der
Verluste macht – ist insolvenzgefährdet. Eine insolvenzgefährdete Pflege kann nicht
zur flächendeckenden Versorgung beitragen. Die Verantwortlichen müssen JETZT
handeln! Das Netzwerk erwartet von der Ministerin die Begleitung weiterer
Verhandlungen mit den Kostenträgern und die Klarstellung, der Notwendigkeit der
Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung. Genau dies liegt in der
Verantwortung der Ministerin. Zu den geforderten Sofortmaßnahmen muss auch ein
Fond gehören, welche die wirtschaftliche Situation der Pflegedienste JETZT
auffängt.

Zwischenergebnis unserer aktuellen Umfrage unter den
ambulanten Pflegediensten in MV ist, dass 70% der Pflegedienste die
wirtschaftliche Situation für die Zukunft schlecht einschätzen und dies in
Zeiten zunehmenden Pflegebedarfs durch den Renteneintritt der Babyboomer –
Generation. 49% der bisher teilgenommenen Dienste beurteilen die eigene
Liquiditätssituation als schlecht bis sehr schlecht.

Vor diesem Hintergrund haben wir mit Verwunderung und
Bestürzung die Aussagen der SPD-Landtagsfraktion in der Presserklärung von Frau
Klingohr vom 16.06.23 über die Situation der ambulanten Pflege in
Mecklenburg-Vorpommern zur Kenntnis genommen. Offensichtlich ist sich die 
SPD – Fraktion nicht über die dramatische Situation der Pflege in unserem
Bundesland im Klaren, obwohl unser Informationsangebot hierzu wirklich
ausreichend war.

Da die Presseerklärung der SPD – Landtagsfraktion vom
16.60.2023 darauf abzielt, die Auffassung öffentlich zu machen, haben wir dies
mit diesem Schreiben ebenfalls getan, damit die Meinung von Frau Klingohr nicht
unwidersprochen bleibt. Unser Schreiben an die SPD – Landtagsfraktion stellen
wir an dieser Stelle zur Verfügung. Um zu verdeutlichen, dass nicht einzelne
Akteure einen Konsens hinterfragen und weiter aufwühlen, haben wir als
deutliche Klarstellung das Schreiben gemeinsam verfasst und gezeichnet.

Unser Netzwerk wird in jedem Landkreis am 07.07.2023 um 12:05
Uhr mit einer Protestaktion landesweit auf die Situation von pflegebedürftigen
WählerInnen aufmerksam machen. Leider haben wir aktuell weiterhin den Eindruck,
dass sowohl in der Landespolitik als auch in den Landkreisen noch
Informationsdefizite zur gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der ambulanten
Pflege bestehen.

Wir haben in allen Landkreisen eine Menschenkette für die
Selbstbestimmung angemeldet. Leider vertreten einzelne Versammlungsbehörden die
Auffassung, dass eine Menschenkette für die Selbstbestimmung unserer „Bewegung
unzuträglich wäre“, da durch die von uns angemeldeten Versammlung in Form einer
Menschenkette „
angesichts des dort touristischen, beruflichen Straßen- und
öffentlichen Personennahverkehrs völliges und überaus nachhaltiges Chaos
entstehen würde“.

Uns zeigt dies viel deutlicher, dass das
Bewusstsein dafür fehlt, was 15000 ambulante Pflegemitarbeiter, die jeden Tag
von Haus zu Haus fahren, leisten und dabei medizinisch notwendige
Behandlungspflege leisten. Ohne häuslichen Krankenpflege werden Menschen ohne
Insulin Zuhause sterben, Menschen ohne Pflege verwahrlosen, etc. Weitere
Informationen zu unserem Protesttag am 07.07.2023 werden wir am kommenden Dienstag
Ihnen zukommen lassen. Ohne Pflegedienste werden in vielen Unternehmen
Arbeitnehmer fehlen weil diese Zuhause sich um Angehörige kümmern müssen.
Dieses Chaos wäre langfristig und überaus nachhaltig. Das ist nicht soweit
kommt, liegt in der Verantwortung der Politik, auch der Landespolitik.